Kommentar zu Charaka–samhita (Vi.,IV.12)
„(Ein Arzt), der nicht mithilfe der Fackel seines Wissens und seines Intellekts in das innere Wesen des Patienten eindringt, (um alle) Tatsachen (über den Erkrankten und sein Leiden) herauszufinden, ist nicht in der Lage Krankheiten zu behandeln.“
Diese Textstelle stammt aus den alten Schriften des Arztes und Philosophen Charaka, der etwa 300 vor Christus geboren wurde. Er überarbeitete die Agnivésa-Tantra (das erste schriftliche Kompendium über Aurveda), welches dann unter dem Namen Chraka-samhita grösste Berühmtheit erlangte.
Zwei Schwerpunkte fallen bei diesem Zitat ins Auge. Zum Einen steht im Vordergrund die Genauigkeit der Diagnose, zum Anderen aber ist die empathische Haltung des Arztes[1] gegenüber seinen Patienten von grösster Wichtigkeit.
Daraus leitet sich ab, dass der Arzt, als Fachperson und Mensch, an erster Stelle steht.
Srikanta Sena schreibt in seinem Kompemdium, dass der Arzt, der Patient, die Drogen und die Helfer die vier Säulen der Therapie bilden.
Wobei der Arzt selbst die Hauptursache für den Erfolg der Heilung sei.[2]
Sena interpretiert in aller Deutlichkeit:
Es ist besser sich selbst zu behandeln, als von einem unwissenden Arzt behandelt zu werden.
Und weiter:
Als bester Arzt gilt derjenige, der Wissen besitzt über diese vier: Ursachen, Symptome, Heilung und Prävention von Krankheiten.
Das Wissen ist also die Werkzeugkiste, das Eindringen in das innere Wesen ein weiterer wichtiger Punkt. Die Sastras (vedischen Schriften) sind das Licht zur Erleuchtung und der Intellekt des Arztes ist das Auge, das die erleuchteten Gegenstände wahrnimmt.
Aber darüber hinaus schlummern zwischen den Zeilen Charakas die Begeisterung und Leidenschaft, symbolisiert durch die Fackel.
Nur dank dieser Leidenschaft kann man echtes und ehrliches Interesse für die Geschichte des Patienten aufbringen, die Zusammenhänge einer Fehlstörung erkennen, ausleuchten und so dem Patienten auch verständlich machen.
Die Thematik des Enthusiasmus ist heute bedeutender denn je, fehlt es doch enorm vielen Menschen die Dinge kreativ und mit Freude anzupacken.
Heinz Fritz[3] schreibt in seinem Buch „Ihr life coach“:
„Hohes Interesse wird Leidenschaft genannt und diese kann man einfach dadurch entwickeln, indem man selbst entscheidet sich für etwas stark zu interessieren.“
Die Bedeutung dieser Eigenschaften, des Wissens, die Erfahrung und echtes Interesse sind von grosser Tragweite. Leider geht es in der Medizin immer weniger um das Individuum und seine Genesung, sondern immer mehr um das Eindämmen der Gesundheitskosten.
Unsichere, gleichgültige, aber auch erschöpfte Ärzte verordnen mehr und mehr kostspielige Untersuchungen, auf Grund fehlender eigener Ressourcen. Eine Folge davon ist dann, dass verunsicherte Patienten immer häufiger zum Arzt gehen, Zweit- und Drittmeinungen einfordern. Gerade dieser Aspekt wird von Politikern und Krankenkassen immer mehr beanstandet, welche kaum mehr wissen, wie sie die Kosten eindämmen könnten. Lösungsversuche in der Schweiz, wie zum Beispiel das Hausarztmodell oder die Fallkostenpauschalen sollten den Arzt zwingen, sein Denken und Handeln achtsam und kostenbewusst einzusetzen.
Im Ayurveda ist die ethische Messlatte für Ärzte sehr hoch gesteckt. Entsprechend dem ursprünglichen Verständnis ist ein Arzt immer ein „zweimal Geborener“, ein Dvija. [4]
Zuerst kommt die medizinische Schulung und danach die zweite Geburt, die Einweihung in den Arztberuf. Er wird erst dann als Vaidya bezeichnet, wenn er höchste mentale und spirituelle Fähigkeiten besitzt. Denn die Behandlung eines Patienten durch den Vaidya greift tief in dessen Karma ein.[5] Das Arzt-Patientenverhältnis ist v.a. in der dörflich geprägten, traditionellen Gesellschaft auch ein religiös-moralisches.
Maharishi zitiert 1986 in Nagar:[6]
„Auf der Basis des ausgeglichenen Bewusstsein und seiner grossen Liebe zum Patienten fühlt der Vaidya jegliches Ungleichgewicht und verschreibt sofort das richtige Heilmittel. Auf diese Weise wird der Vaidya nicht müde. Er wird zu seinem Patienten hingezogen puttygen download windows , er gewinnt von ihnen. Genau wie der Lehrer mehr gewinnt, als der Student, gewinnt der Vaidya mehr als der Patient.“
Dies ist ein wichtiger Punkt, denn durch das Beherzigen dieser Grundgedanken der alten, philosophischen Ärzte würde es uns gelingen grosse Befriedigung in der Ausübung des Arztberufes zu bekommen, sowie viele Patienten ohne eigene Erschöpfung zu behandeln.
Denn zunehmende Burn-out Problematik der Mitarbeiter des Gesungheitswesens verursachen weitere, immer grössere Kosten.
Auch Hippokrates (5. Jht vor Chr.), der Urvater der westlichen Medizin beschreibt in seinem ethischen Grundlagenwerk (Corpus hippokraticum) nihil nocere als oberstes Prinzip. Hingegen steht bei ihm im Vordergrung der Schutz des Lebens.
In dem Werk von Gustav Liétard[7] schreibt dieser unter der These: Der Arzt Charaka, der hippokratische Eid und der Eid der indischen Ärzte, dass die verlangten ethischen Prinzipien von Charaka noch viel weitreichender sind als diejenigen von Hippokrates. Da zeigt sich in der Abhandlung „überlebt Hippokrates“[8] ein trauriges Bild. Der Verlust der ethischen Werte ist ein westlich – gesamtgesellschaftliches Problem. Juristische Gesetze und immer mehr Regeln der Wissenschaft garantieren keine Wahrung von ethischen Grundwerten.
Für eine entscheidende Gegenbewegung ist es enorm wichtig zu bedenken, dass jeder einzelne Arzt etwas dazu beitragen kann.Wenn er sich nicht mit einer mechanistischen Denkweise zufrieden gibt, wenn er versucht sich nicht fremdbestimmen zu lassen. Sobald er mit grösster Verantwortung seinen Mitmenschen gegenübertritt, mit Respekt, Achtung, Wissen und Enthusiasmus seine Tätigkeit ausübt, wird ihm die Erfüllung sicher sein.
Darum beinhaltet das Eingangszitat von Charaka eine immerwährende Gültigkeit da der Arztberuf so alt ist, wie die Menschheit selbst.
[1] Charaka Vi., 8.94 ; Gupta S. 33
[2] Srikanta Sena, Ayurveda Lehrbuch 1, S. 91
[3] Heinz Fritz, Ihr live coach, 2012
[4] Hans-Heinrich Rhyner; das neue Ayurveda Praxis Handbuch, S. 335
[5] W. Ehlers et al., Biopsych. Kap. 159
[6] Maharishi vedic university; copyright 2008, ref 390
[7] Gustav Liétard, 1987
[8] Gehrig/Mattli; Davos